Eine neue Studie der Hochschule München zeigt die Anforderungen an und die Aufgaben des Einkaufs in sieben Jahren. Professor Florian Kleemann und amc-Gründer Andreas Pohle diskutierten die Ergebnisse in der jüngsten Veranstaltung der Zukunftswerkstatt Einkauf & Supply Chain Management.
Die Hochschule München hat eine Delphi-Studie zur Zukunft des Einkaufs veröffentlicht. Die Analyse von Ramona Niederschweiberer untersucht die globalen Herausforderungen des Einkaufs bis zum Jahr 2030. Niederschweiberer hat hierfür ein Panel von 55 Einkaufsverantwortlichen über einen längeren Zeitraum mehrfach befragt.
Professor Florian Kleemann, der die Masterarbeit für den Lehrstuhl „Digital Procurement & Supply Management“ betreut hat, hat die Ergebnisse in der jüngsten Zukunftswerkstatt Einkauf & Supply Chain vorgestellt. Gemeinsam mit Andreas Pohle, amc Group, diskutierte Kleemann vor mehr als 70 Führungskräften aus dem Einkauf die Konsequenzen für die Praxis. Publiziert wird die Studie im dritten Quartal 2023, im Springer Verlag.
Valides Bild des Einkaufs der Zukunft
Das Studiendesign sei aufwändig, die Teilnahmequote hoch. Durch die Datenergebung im Frühjahr 2022 seien auch die aktuellen Herausforderungen für die Beschaffung in die Studie eingeflossen, erklärt Florian Kleemann und betont: „Ziel des Studiendesigns war es, ein möglichst valides Bild des Einkaufs der Zukunft zu geben sowie Impulse für die praktische Umsetzung.“ Die Studie blickt sieben Jahre voraus. Langfristigere Prognosen sind kaum verlässlich.
Das sind die Top-Themen des Einkaufs 2030
Sechs Thesen ermittelte Ramona Niederschweiberer in ihrer Literaturrecherche und untersuchte sie in der Mehrfachbefragung: (1) Strategie & Bedeutung, (2) Organisation & Führung, (3) Personal, (4) Prozesse & Technologien, (5) Lieferketten & Lieferkettenmanagement und (6) weitere Herausforderungen. Aus den Antworten der Studienteilnehmer und Teilnehmerinnen entstanden vier Cluster.
1. Strategie & Bedeutung
2. Prozesse & Technologien
3. Organisation, Führung & Personal
4. Lieferketten & Lieferantenmanagement
Die Veränderung gegenüber heute beschreibt Florian Kleemann: „Statt Kosteneinsparungen wird der Wertbeitrag des Einkaufs bis 2030 endgültig die maßgebliche Kennzahl für die Beschaffung werden.“ Dazu gehöre die Verfolgung von Nachhaltigkeitszielen genauso wie das Herstellen der Versorgungssicherheit sowie die Entwicklung und Umsetzung digitaler Strategien. Entscheidend für den Gesamterfolg, betont er, sei die Einbindung der Mitarbeitenden sowie die Einbindung des Einkaufs selbst in das Unternehmen.
Das muss der Einkauf bis 2030 tun
Die Studie leitet daraus sechs Handlungsempfehlungen ab:
1. Treiben Sie die Digitalisierung Ihrer Beschaffungsprozesse voran: Nicht als Selbstzweck, sondern, um die Freiräume zu schaffen, die der Einkauf dringend braucht, um das Zukunftsbild 2030 zu erreichen.
2. Entwickeln Sie ganzheitliche Strategien und verfolgen Sie diese: Der Einkauf muss sich mit der Zukunft beschäftigen, dazu gehören strategisches Arbeiten sowie die Entwicklung von Szenarien.
3. Verwenden Sie Zukunftsinstrumente: Beispiele sind die Entwicklung von Szenarien oder eine Zukunftswerkstatt Einkauf im eigenen Unternehmen.
4. Agilisieren Sie Ihre Strukturen: Der Einkauf muss beweglich bleiben. Dynamik lässt sich nur über agile Strukturen abbilden.
5. Rekrutieren und qualifizieren Sie (potenzielle) Mitarbeiter: Um das Zukunftsbild des Einkaufs umsetzen zu können, wird sich das Profil der Mitarbeitenden weiter verändern. Die erforderlichen Qualifikationen gilt es über Schulungen und neue Stellenprofile abzubilden.
6. Nutzen Sie professionelles Changemanagement: Mitarbeitende müssen in Veränderungen eingebunden werden. Begleitendes Changemanagement ist für die Transformation unerlässlich.
Synergien und Zusammenhänge erkennen
„Diese sechs Aufgaben sind klar gesetzt“, kommentiert Andreas Pohle und mahnt: „Jede für sich bedeutet einen hohen Aufwand.“ Allerdings gebe es Synergien und Zusammenhänge, die der Einkauf nutzen könne. Viele Teilnehmende der Zukunftswerkstatt bestätigten die Digitalisierung als Top-Thema in einer Menti-Umfrage: „Sie haben erkannt, dass die Digitalisierung auf mehrere Ziele gleichzeitig einzahlt, da sie den Einkauf vom operativen Grundrauschen befreit“, kommentiert Florian Kleemann.
Strategien helfen ans Ziel
Lohnen sich für den Einkauf langfristige Strategien, wenn die Dynamik in den Märkten weiter zunimmt? Kleemann vergleicht die Strategiearbeit im Einkauf mit der eines Navigators in stürmischer See. „Strategieentwicklung ist Zielformulierung, auch in rauer See muss ich wissen, wo es hingeht“, betont er. Andreas Pohle macht genau hier im Mittelstand jedoch ein großes Defizit aus: „In vielen Einkaufsabteilungen ist die Strategie nur in den Köpfen vorhanden, das reicht aber nicht“, erklärt er und empfiehlt: „Formulieren Sie Ihre Ziele schriftlich, machen Sie Ihrem Team klar, wo die Reise hin geht.“ Nur so könne jeder und jede hinterfragen, ob aktuelle Maßnahmen auf die Ziele einzahlten.
Neue agile Aufbau- und Ablauforganisation des Einkaufs
Die isolierte Betrachtung einzelner Handlungsfelder und Abteilungen im Unternehmen sei nicht mehr zeitgemäß, erklärt Pohle. Für die bereichsübergreifende, agile Zusammenarbeit hat die amc Group das Modell des Value Added Networks, kurz VAN, entwickelt. Die drei Grundprinzipien des Value Added Network sind:
1. Das Liefernetzwerk beginnt bei den (Sub)Lieferanten und endet bei den Kunden.
2. Die Fäden des Supply Networks laufen im Einkauf zusammen.
3. Entsprechend gibt es im VAN drei Ebenen: die prozessuale Ebene als Basis, die Ebene der verschiedenen Funktionsbereiche als Dach und in der Mitte eigenverantwortliche, crossfunktionale Teams, die die beiden Ebenen für die einzelnen Verantwortungsbereiche und Aufgaben (zum Beispiel für Sourcing oder für Produktentwicklung) agil miteinander verbinden.
Value Added Network als Basis
Pohle betont: Die klassische Aufbau- und Ablauforganisation werde sich weiterentwickeln, um die extreme Veränderungsdynamik, mit der es Unternehmen zu tun haben, abbilden zu können. In den jetzigen klassischen Strukturen, in denen der Einkauf unterwegs sei, funktioniere dies nicht: „Nur in einer agilen Struktur können sich Unternehmen und der Einkauf in kurzer Zeit auf neue Anforderungen und Chancen einstellen.“
Annette Mühlberger, Journalistin, Stuttgart
Dieser Beitrag ist Teil einer Kooperation zwischen der Lehmanns Media GmbH und der Beschaffung aktuell.