Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) tritt am 28. Juni 2025 in Kraft und verpflichtet zum ersten Mal private Wirtschaftsakteure dazu, Barrierefreiheitsanforderungen einzuhalten.

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Was ist der aktuelle Status Quo in der Buchbranche? Wir haben den Kurzcheck gemacht:
Barrierefreiheit – was bedeutet das konkret?
Barrierefreiheit bedeutet, dass Produkte und Dienstleistungen so gestaltet sind, dass sie für alle Menschen, problemlos nutzbar sind. Das bedeutet, sie müssen für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sein. Genaue Richtlinien zur Anwendung werden in der Rechtsverordnung zum BFSG zusammengefasst (Quelle: Leitlinie für die Anwendung des BFSG vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales). Das neue BFSG betrifft auch die Buchbranche.
Quo vadis Buchbranche – Wie geht die Buchbranche mit Barrierefreiheit um?
Bislang hat sich noch nicht viel bewegt in der Buchbranche, wie der Digital Publish Report aus dem letzten Jahr zeigt: Demnach haben sich 64 Prozent der befragten Medienunternehmen nicht ausreichend mit Barrierefreiheit auseinandergesetzt und sind, 5 Monate vor In-Kraft-Treten des BFSG, völlig unvorbereitet und weit entfernt vom gesellschaftlichen Auftrag, Zugang zu Wissen und Literatur für lesebehinderten Menschen zu erleichtern.
Der Börsenverein, Dachverband der deutschen Buchbranche, will die „Angst vor vermeintlichen Hürden nehmen und gemeinsam best practices erarbeiten“, sagt Dana Minnemann, Sprecherin der Taskforce Barrierefreiheit.
Wir haben beim Börsenverein nachgefragt.
Antworten von Ulla Materne, Koordinatorin für inklusives Publizieren beim Deutschen Zentrum für barrierefreies Lesen:
- Gibt es aktuell ein best practice in der Buchbranche bzgl. Barrierefreiheit?
Ulla Materne: Noch vor Veröffentlichung des Barrierefreiheitsstärkungsgesetztes (BFSG) in Deutschland wurde unter dem Dach des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels eine Taskforce für Barrierefreiheit gegründet. Durch deren länderübergreifende Besetzung (Mitglieder aus Deutschland, Österreich und der Schweiz) war bereits frühzeitig ein (Informations-)Austausch über den gesamten deutschsprachigen Buchmarkt hinweg möglich. In den vergangenen Jahren entstanden dank der engagierten Zusammenarbeit u. a. umfangreiche Leitfäden (barrierefreie EPUB, barrierefreie PDF und barrierefreie Webseiten) und eine ausführliche FAQ-Liste zur Barrierefreiheit in der Buchbranche. Die Angebote werden regelmäßig aktualisiert: Barrierefreiheit – Börsenverein.
- Was ist die größte Hürde oder Sorge der Buchbranche aus Ihrer Sicht?
Ulla Materne: Da das BFSG noch nicht in Kraft getreten ist, liegen folglich auch noch keine gerichtlichen Urteile vor. Die vom BFSG vorgesehene Marküberwachungsbehörde ist ebenfalls noch nicht eingesetzt, sodass sich momentan einige rechtliche Fragen aus der Buchbranche nicht abschließend klären lassen. Ein weiteres konkretes Thema ist zudem der Umgang mit Titeln aus der Backlist, verbunden mit der Frage, ob diese ebenfalls bis zum Inkrafttreten des BFSG barrierefrei sein müssen.
- Was ist aus Ihrer Sicht, der wichtigste erste Schritt in Richtung Barrierefreiheit für die Buchbranche?
Ulla Materne: Barrierefreiheit sollte gesamtorganisatorisch begriffen werden. Es ist daher sinnvoll, zunächst zu überlegen, wie und welche Verantwortlichkeiten in den Häusern/Unternehmen festgelegt werden können. Für all diejenigen, die jetzt beginnen sich mit der Barrierefreiheit auseinanderzusetzen, empfiehlt sich in jedem Fall ein Besuch auf den Seiten des Börsenvereins und die intensive Lektüre der bereits erwähnten Leitfänden und FAQ, um zunächst eine Grundlage zu schaffen. Sensibilisierungs- und Weiterbildungsangebote (beispielsweise über das dzb lesen, die blista oder den mediacampus des Börsenvereins) unterstützen bei der praktischen Umsetzung der Barrierefreiheitsanforderungen.
Eine große Hilfe können KI-Anwendungen sein. Sie übersetzen Texte in eine leichte Sprache, ohne ihren ursprünglichen Sinn zu verfälschen. GPT-5 soll bereits verbesserte multimodale Fähigkeiten, wie Sprach- und Bildverarbeitung haben, um verschiedene Arten von Eingabe zu verarbeiten und entsprechend zu reagieren. Ob das reichen wird, um die gesetzlichen Vorgaben rechtzeitig umzusetzen, bleibt abzuwarten.
Tech-Unternehmen, wie Apple, sind schon deutlich weiter, wie die nachfolgenden Beispiele belegen. Sie zeigen, dass alle NutzerInnen von innovativen Entwicklungen profitieren können.
Barrierefreiheit als Innovationsmotor
Am Beispiel von Apple zeigt sich, dass barrierefrei zusätzlichen Nutzen für alle AnwenderInnen bietet. Die barrierefreien Entwicklungen haben innovatives Potential, wie die Apple-Accessibility-Chefin, Sarah Herrlinger, auf dem 2024er Web Summit in Lissabon mit gleich mehreren Beispielen belegt:
- Apple Watch: Der Doppeltipp bei der Apple Watch wurde entwickelt für Personen, die den Bildschirm nur eingeschränkt bedienen können. Heute dient sie Nutzern, um Funktionen ohne Einsatz einer zweiten Hand zu bestätigen, Telefonate anzunehmen und einiges mehr.
- HomePad: Die Geräuscherkennung auf dem HomePad sollte Hörgeschädigte helfen, das Tür-Klingeln zu erkennen. Mittlerweile dient die Funktion allen Usern dabei, bei Abwesenheit das Türklingeln zu registrieren.
- AirPod: Mit den AirPods Pro 2 geht das Unternehmen den Weg andersherum: Sie werden bei leichter bis mittlerer Schwerhörigkeit genutzt und zeigen, dass auch aus bestehenden Produkten innovative Ansätze für Barrierefreiheit entstehen können. (Quelle: https://www.heise.de/news/Barrierefreiheit-Apple-Accessibility-Chefin-plaudert-aus-dem-Naehkaestchen-10034630.html).
Apple ist ein Unternehmen, das seit seiner Gründung sehr nutzerorientiert aufgestellt ist und seine Produkte ständig weiterentwickelt. Es liegt daher nahe, dass sie besonders stark sind in technischen Neuerungen zur Barrierefreiheit.
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